Eine Krise ist die Zeit, in der das Produktmanagement oft vernachlässigt wird. Doch nach 2009 waren diejenigen Unternehmen erfolgreich, die schon während der Krise die Weichen gestellt hatten. Was ist gleich, was ist anders in der heutigen Krise? Und wie wirkt sich das auf dem Produktportfolio bzw. die Portfoliooptimierung Ihres Unternehmens?
Das das Portfolio-Management ein wichtiges Elemente einer Krisenüberwindung ist, davon sind auch die Strategen von McKinsey überzeugt. Kurz nachdem wir die aktuelle Serie AHA+L fürs Produktportfolio begonnen hatten, haben sie in einem Artikel zur Zukunftsfähigkeit nach der Krise die folgende These geschrieben:
“It’s a must to consider both portfolio moves and performance improvements. But which of these do you execute first? The answer depends on the company and context.”
Kevin Laczkowski, Martin Hirt et al., Mc Kinsey (Dezember 2020)
Sie stützen sich auf die Studien und Erfahrungen, die McKinsey in der Praxis in anderen Krisensituationen gemacht hat.
2009 und 2020: Zwei weltweite Krisen, aber mit Unterschieden
Die Leader von heute haben schon die 2009-Krise erlebt. Diese hat mit der heutigen Krise gemeinsam, dass sie einen weltweiten, tiefen Einschnitt in den Mechanismen der Wirtschaft darstellte. Der wesentliche Unterschied war der Ursprung, denn 2009 war hauptsächlich eine Finanzkrise.
Ähnlichkeiten beider Krisen
Beide Krisen betreffen Wirtschaften weltweit. Beide Krisen kamen mit Warnungen, aber es war nicht vorhersehbar, dass sie zu einem bestimmten Zeitpunkt mit derartiger Wucht die Unternehmen treffen.
“Economic downturns are impossible to predict and sure as sunrise.”
Kevin Laczkowski, Martin Hirt et al., McKinsey (Mai 2019)
Unterschiede: zwei Trends, die zum Must werden.
Ein großer Unterschied zwischen den Krisen von 2009 und 2020-21 ist, dass letztere zeitlich nach einer wesentlichen Beschleunigung zweier Trends stattfindet. Der erste Trend ist die Digitalisierung (die die Corona-Pandemie noch weiter beschleunigt). Der zweite Trend gehört spezifischer zum Produktmanagement, das ist die Modularisierung.
Die Strategen fürs Produktmanagement müssen sich bei einer Portfoliooptimierung auf dem Weg aus dieser Krise die Frage stellen, inwiefern die Digitalisierung ihr Produktportfolio und die angebotenen Services betreffen. Sie sollten sowohl die Chancen, aber auch die Risiken betrachten.
Nicht zuletzt das Risiko, den Zug der Digitalisierung zu verpassen, sollten sie mitdenken… Denn nur zwei Fünftel der deutschen Unternehmen hatten Anfang 2020 eine zentrale digitale Strategie (38%), wie eine bitkom-Studie zum Thema Digitalisierung der Wirtschaft entdeckt hatte.
Die Effekte der Digitalisierung auf die Portfoliooptimierung
Alles wird digital – erst recht nach der Corona-Krise. Das hören wir jeden Tag. Doch bestehen die alten Produkte noch in diesen Bedingungen?
Das neue Vertriebsgespräch in einer digitalen Welt
Früher ging B2B-Vertrieb so: Die Kunden hatten eine vage Idee davon, was sie kaufen wollten. Sie gingen mit Ihren Anforderungen zu ein paar Lieferanten und ließen sich erklären, was alles möglich ist. Klingt bekannt? Vergessen Sie es sogleich. Denn heutzutage fragt der Kunde erst die Lieferanten, wenn er genau weiß, was er will. Das hat er nämlich schon im Web recherchiert. Wenn Ihr Produktportfolio und die Potenziale einiger Ihrer Produkte nicht auf der Webseite und anderen digitalen Kanälen dargestellt werden (können), wird es schwierig.
Guided selling und CPQ
Idealerweise verfügt Ihre Webseite über Guided Selling-Tools (Warum CPQ und Guided Selling wichtig sind, wird in unserer Miniserie zu diesem Thema erklärt). Aber nicht alle Produkte lassen sich gut in Guided Selling-Prozessen integrieren. Insbesondere individuell gefertigte Produkte sind schwieriger, in solchen Systemen zu erfassen.
Bestehen Ihre Produkte in einer neuen, digitalen Welt?
Das Smartphone hat die Welt revolutioniert. Er ersetzt so viele Gegenstände. Teenager heutzutage tragen keine Uhr und besitzen keine Wecker mehr. Sie kaufen keine Musik – sie streamen. Sie besitzen keine Fotoapparate – und machen permanent Bilder. Wer nutz noch eine extra Taschenlampe? Manche Gegenstände und Maschinen verschwinden langsam aber sicher aus unseren Leben. Zum Beispiel: Die Hersteller von den Ticketentwertern, die in Bussen und U-Bahn-Stationen stehen, sollten bald ihr Produktportfolio optimieren. Beispiele von Produkten, die jetzt oder in Kürze von dem Smartphone ersetzt werden, gibt es vielen: Ihnen fällt bestimmt mindestens ein weiteres ein.
Neue Möglichkeiten
Gleichzeitig eröffnen Smartphones und Tablets Möglichkeiten für neue Leistungen: Insbesondere im Bereich IoT und Service können mithilfe von Sensoren an den Maschinen und/oder Apps, die auf gewöhnliche Smartphones oder Tablets laufen, viele neue Leistungen angeboten werden. Und wenn ein Hersteller meint, sein Markt sei traditionell und er würde nichts dergleichen brauchen, dann wird wohl sein Wettbewerber mit Ideen kommen.
Nicht jedes Produkt wird digital sein. Doch jedes Produkt, der weiterhin existieren soll, muss in einer digitalen Welt bestehen können.
Neue Wettbewerber
Die digitalen Wettbewerber sind wahrscheinlich nicht die üblichen Verdächtigen – also nicht unbedingt die aktuellen Wettbewerber der Unternehmen. Als Beispiel aus der B2C-Welt kann man in Richtung der Reisebranche schauen: Die Marketingleitung einer Hotelkette in Frankreich hätte ein kleines Tech-Start-Up in Kalifornien vor 10 Jahren sicher nicht als Hauptwettbewerber wahrgenommen… Doch Airbnb war in den letzten Jahren und vor der Corona-Katastrophe der Hauptgrund, warum Hoteldirektoren verzweifeln.
Die Plattformökonomie vermittelt mittlerweile alles, und nicht nur Produkte zum besten Preis – von Ticket über Handwerker, Mitfahrgelegenheit oder Nachbarschaftsgefühl bis hin zu B2B-Produkten und -Leistungen. Es kann sein, dass Ihre Produkte nicht mehr gefragt sind, weil ähnliche Produkte über eine Plattform einfacher zu bekommen sind, vielleicht auch nur zum Mieten oder Leasen – und Sie sind nicht gelistet, z.B. weil nicht genug standardisiert.
Die Digitalisierung bewirkt eine Transformation der Geschäftsmodelle für viele Unternehmen. Für alle ändert sie die Weise, wie man sein Geschäft führt („way of doing business“). Der Trend ist von der Corona-Krise nur beschleunigt worden. (Dazu mehr im Buch „Digitale Transformationsexzellenz„).
Das Produktportfolio mit globalem Blick umdenken
Portfoliooptimierung heute schon mit Blick auf die zukünftigen Märkte
Wenn ein Unternehmen dabei ist, sein Portfolio zu optimieren, muss dabei die zukünftige Strategie so viel Gewicht bekommen als die aktuellen Kunden.
Das Unternehmen muss vom Zukunftsbild her denken:
- Wohin soll sich das Unternehmen / die Produktgruppe entwickeln?
- Welche Kunden/Märkte wollen wir unbedingt behalten und welche wollen wir gewinnen?
- Welche Trends beeinflussen meine Portfoliostrategie?
Die Zukunft hat schon begonnen. Die Effekte der Digitalisierung sind oben schon erwähnt; Dazu kommen auch noch die Effekte der Globalisierung. Denn dank Digitalisierung ist die ganze Welt vernezt. Welche neuen Märkte sind für das Unternehmen zu erreichen, und mit welchen Produkten? Umgekehrt, welche von unseren Produkten werden z.B. von ausländischen Wettbewerbern so gut und so kostengünstig ersetzt, dass wir da nicht langfristig bestehen können?
Aktuell ist es zwar schwierig, Trends für nach der Krise zu erkennen. Einiges weiß man aber schon. Das „New Normal“ wird zur „New Future“. (Siehe dazu unser Artikel zu einer Erhebung der Bitkom: Bitkom-Studie: Digitale Affinität ist das neue Normal). Manche Märkte werden zusammenbrechen, andere entwickeln sich jetzt gerade boomartig.
Wenn Ihre Produkte nicht dazu gehören, dann ist es vielleicht die Zeit, das Portfolio zu optimieren. Manchmal kann eine Krise eine Riesenchance sein, obwohl das Unternehmen am Anfang eher Panik kriegt. Bei einem unserer Kundenunternehmen in der Solarbranche hatte BM-Experts so einen Fall. Da waren in einem großen ausländischen Markt durch einen Wechsel der Politik die Einnahmen weggebrochen. Mit der nötigen Flexibilität bei der Portfoliooptimierung wurden nach dem Interim-Einsatz die Produkte doch zum Renner.
Die Modularität der Produkte mitdenken
Auch Modularität ist ein Trend, der langfristig verläuft. Sie soll auch bei einer Portfoliooptimierung mitgedacht werden. Das ist auch ein großer Unterschied zu früheren Überlegungen bezüglich des Produktportfolios.
Vorteile der Modularisierung auf der Unternehmensseite
Für das Unternehmen sind die Vorteile einer Modularisierung zahlreich. Denn sie ermöglicht für denjenigen B2B-Unternehmen, die Produkte spezifisch für ein(igen) Kunden anbieten, eine Standardisierung der Lieferanten und der Produktionsprozesse. Die Modularisierung bedeutet nun, dass diese Unternehmen für die Kunden eine Adaptierung machen, anstatt eine neue Produktentwicklung vorzunehmen. Das bringt Kosten- und Zeitersparnisse.
Oft ist die Modularisierung die Bedingung, die die Einführung eines CPQ (Configure-Price-Quote-System) möglich machen. Die Notwendigkeit von Guided-Selling-Systeme haben wir am Anfang des Artikels beschrieben.
Vorteile auf Kundenseite
Die Kunden erwarten einen hohen Grad an Individualität. B2C-Unternehmen sind schon da am Zug, aber die Aussage ist auch für B2B-Unternehmen richtig. Es geht um die Individualisierung des Produktes. Kunden wollten nicht (bzw. nicht mehr) das Gleiche wie ihr Nachbar oder ihr Wettbewerber bekommen. Im Gegenteil: sie wollen sich absetzen. Originalität ist wichtig, wie das Protyp „Segment of One“ darstellt.
Kosten senken
Durch die Modularisierung des Produktangebots kann man die Skaleneffekte bei den Lieferanten voll nutzen und die Prozesse standardisieren. Dies führt zu einer Senkung der Kosten. Ob das Unternehmen dies an die Kunden in der Form einer Preissenkung weitergibt oder seine Marge erhöht, ist abhängig von der Marktsituation.
Modularisierung bei Portfoliooptimierung
Man sieht: Bei einer Portfoliooptimierung sollte im Unternehmen aktuell die Modularisierung immer mitgedacht werden. Denn sie
- wird für die Digitalisierung des Vertriebs gebraucht,
- bringt Vorteile für den Anbieter,
- wird von den Kunden immer stärker gewünscht.
Wenn ein Unternehmen eine Portfoliooptimierung durchführt, sollte die Fragen auch gestellt werden: Kann dieses Produkt auch für andere Kunden leicht modifIziert eingesetzt werden, oder ist es zu spezifisch? Welche Baukasten können wir wiederverwenden? Kann ich wiederum ein Produkt, das für ein Kunde/ein Markt wichtig ist, durch die Adaptierung eines anderen Produkts ersetzen?
Die Portfoliooptimierung und die Modularisierung müssen Unternehmen zusammen durchführen und nicht parallel ohne Absprache – und erst recht nicht nacheinander.
Portfoliooptimierung in und nach der Krise – eine Überlebensfrage
Wie nach der Krise 2009 können wir auch für diese Krise vorhersagen, dass nur diejenige Unternehmen, die sich rechtzeitig für die Zeit danach vorbereiten, überleben werden. Der große Unterschied diesmal sind die starken Trends, die vorher schon dabei waren, die Unternehmenswelt zu revolutionieren. Und diese sind Modularisierung und vor allem Digitalisierung. Diese zwei müssen bei jeder Portfoliooptimierung aktuell mitgedacht werden.
AHA+L fürs Produktportfolio, die Miniserie
Bisher erschienen:
- 1 – Jetzt handeln: Portfoliobereinigung!
- 2 – Betrifft das Ihr Unternehmen?
- 3 – Zwei Trends bei der Portfoliooptimierung in der heutigen Krise (dieser Artikel)
- 4 – Bereinigung des Produktportfolios: So gehen Sie vor
- 5 – Diese 10 Faktoren sollten Unternehmen beachten, wenn sie ihr Portfolio bereinigen
- 6 – Portfolio optimieren – 8 Gründe, warum Produkte unbedingt im Portfolio bleiben sollten
Über den Autor:
Uwe Brüggemann ist Geschäftsführer der BM-Experts, Interim Manager, Buchautor und Keynote-Speaker.
Seine Tipps bezieht er aus seiner langjährigen Erfahrung als Produkt-Manager, Leiter Produkt-Management oder Interim-Manager im Bereich Vertrieb und Produkt-Management in global agierenden Unternehmen in den Bereichen High-Tech-Produkte und B2B.
BM-Experts GmbH: Den Kundennutzen steigern
Gute Ideen sind wichtig, doch die Umsetzung ist entscheidend.
Dank unserer Erfahrung im B2B-Vertrieb wissen wir, wie neue Business-Modelle schnell zum Kunden gebracht werden. Wir helfen Unternehmen, den Blickwinkel zu erweitern und die Strategie in Zeiten der Digitalen Transformation zukunftsfähig zu gestalten.
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